Werner Stiefele | RONDO
John – Piano Solo
Eine Farbfotografie des Gitarristen John Abercrombie ziert den Innenteil des Digipacks von „John“, dem Soloalbum des Pianisten Marc Copland, der – bescheiden zurücktretend – mit einem von scharfen Kontrasten geprägten, fast dämonisch anmutenden Schwarz-Weiß-Foto abgebildet ist. Jahrelang spielten sie zusammen, immer wieder, von 1971 als Mitglieder des Chico Hamilton Quartet bis zum letzten gemeinsamen Tournee im Dezember 2016. Acht Monate später, am 22. August 2017, ist Abercrombie einige Zeit nach einem Schlaganfall mit 72 Jahren an Herzversagen gestorben.
Was bleibt, ist die Erinnerung. Bei Marc Copland verschränken sich Melancholie und Begeisterung, leise Zurückhaltung und helle, funkelnde Töne. Der 72-Jährige widmet dem Wegbegleiter ein Soloalbum, das einerseits so facettenreich wie das Œuvre des Verstorbenen ausfällt und andererseits dessen schnörkellose Geradlinigkeit widerspiegelt.
Neun Titel hat Pianist Copland ausgewählt – Werke aus gemeinsamen Projekten und andere, die Abercrombie mit anderen Partnern auf Tonträgern festhielt. Abercrombie, ursprünglich ein Rockgitarrist, später einer der filigransten Jazzgitarristen, überraschte seine Zuhörer gerne durch unerwartete Wendungen und Wege, ohne sie dabei in einen undurchdringlichen Dschungel zu führen. Copland geht ähnlich vor: Er wandert mit den ohnehin nicht als Ohrenschmeichler angelegten Themen in verschlungene Gegenden, wo seine Interpretationen ihre Schönheit ebenfalls jenseits des Üblichen offenbaren und dadurch sowohl Abercrombie ehren als auch Coplands eigener, dessen Spielweise verwandter Vorstellungswelt entsprechen.
Abercrombie war kein Schnellspieler. Eher ein Komplexspieler, der seinen Tönen – wo sinnvoll – nachlauschen und sie andernorts immens verdichten konnte. Bei Copland wandeln sich dessen Stücke in konzentrierte Meditationen, in denen er Abercrombies oft wie ein Dialog aus tiefen und hohen Saiten wirkendes Herangehen in das Zusammenwirken beider Hände übersetzt. Wie er verzögert, wie er verdichtet, wo er stoppt und neu ansetzt und die Melodien klar herausstellt und verschlungen umspielt, entspricht einerseits den Originalen und andererseits Copelands eigener Ästhetik. Hinzu kommt, dass er – ebenso wie Abercrombie – gerne mitten im Fluss und nahezu unmerklich die Taktarten wechselt. So schwellen die einzelnen Interpretationen ähnlich wie bei Abercrombie an, gleiten in Täler, fassen neue Kraft: ein wunderbarer Klangstrom voll von sich immer wieder neu auflösenden Widersprüchen. „John“ hätte an dieser Liebesgabe sicher so viel Freude gehabt, wie sie nun den (lebenden) Zuhörern möglich wird.