Werner Stiefele / Rondo Magazin
And I Love Her
Illusions Mirage/ NRW Vertrieb IM4004
(67 Min., 8/2017)
Glückwunsch! Die Menge der Klaviertrios ist nahezu unüberschaubar geworden, und doch gibt es immer wieder Überraschungen, indem Musiker mit Klischees und Konventionen brechen und sich in individuelle Klangwelten begeben. Müssen diese neu sein, das Genre umkrempeln, Einflüsse von Musiken außerhalb des Jazz und seiner Traditionslinien integrieren? Eigentlich nicht. Es reicht völlig aus, wenn ein noch nicht breit getrampelter Pfad mit einer gewissen Eleganz und Konsequenz beschritten wird.
Um im Bild zu bleiben: Der 71-jährige Pianist Marc Copland, der 59-jährige Kontrabassist Drew Gress und der 64-jährige Schlagzeuger Joey Baron tippen mit ihren Füßen nur kurz auf den Boden. Meist schweben ihre Töne leicht wie Federn, verwirbeln manchmal, geraten in einen Sog, verharren, gleiten weiter, kippen, scheinen sich leise zu entfernen und kehren mit erhöhter Präsenz wieder. Auf dem Album „And I Love Her“ verzaubern die reifen Herren mit Eigenkompositionen und derart individuellen Versionen von Klassikern, dass andere Musiker die Bearbeitungen als eigene Kompositionen angemeldet hätten. Sie aber schmücken sich nicht mit fremden Federn, sondern benennen die wahren Urheber. Beim Titelstück, einer wunderbar schwebenden Version des Beatles-Klassikers, liegt dies noch wegen der eindeutigen Melodie nahe, während sie bei Herbie Hancocks „Cantaloupe Island“ die funky Grundstimmung des Originals zugunsten sanfter Wellenbewegungen aufweichen und die Melodie des Jazzhits umschmusen.
Oder „Afro Blue“. Angeblich entstand die Version des Trios aus einem Zufall, denn die Nummer sei eigentlich nicht für die Session vorgesehen gewesen. Aber nachdem Joey Baron und Drew Gress ein wenig zum Aufwärmen improvisiert hatten, landeten sie per Zufall an einem Punkt, der eine Überleitung in Mongo Santamarias Thema nahelegte – auch hier eine Fassung fernab des Originals und der vielen Versionen von John Coltrane, die den Jazzwalzer letztendlich zum Klassiker gemacht haben. Luftig und zart weht es durch die Band, manchmal nur in Bruchstücken, aber stets präsent.
In allen neun Titeln halten die drei die Themen stets präsent, ohne sie ständig auszuspielen. Sie lassen Lücken, sie greifen zentrale Wendungen heraus, sie überlassen die Fortsetzung eines Motivs einem der Partner. Joey Baron, ohnehin ein Großmeister am Schlagzeug, hat dabei eine zentrale Rolle, denn seine dezent gesetzten Schläge erhalten auch beim Verstummen von Bass und Piano die Schwebezustände aufrecht. Wie die drei ein gemeinsamer Atem trägt, wie sie filigran, offen, konzentriert, kommunikativ, virtuos, beseelt, überraschungsreich und stets bei den Themen bleibend zusammen spielen, bereichern sie das Genre der Klaviertrios um ein Highlight. Das Album „And I Love Her“ ist zwar nach dem Beatles-Song benannt. Es ist aber mehr, nämlich eine Hommage an die Musik ganz allgemein. Diese drei lieben und leben die Musik so sehr, dass sie das schönste, angenehmste, sensibelste Piano-Trio-Album der letzten Jahre aufgenommen haben.